Torsionsschwingungen in rotierenden Maschinen verstehen
Definition: Was ist Torsionsschwingung?
Torsionsschwingung ist die Winkelschwingung einer rotierenden Welle um ihre Rotationsachse – im Wesentlichen eine Dreh- und Entdrehbewegung, bei der sich verschiedene Abschnitte der Welle zu jedem Zeitpunkt mit leicht unterschiedlicher Geschwindigkeit drehen. Im Gegensatz zu seitliche Vibration (Seitwärtsbewegung) oder axiale Schwingung (Hin- und Herbewegung) erfolgt bei Torsionsschwingungen keine lineare Verschiebung, sondern die Welle erfährt abwechselnd eine positive und eine negative Winkelbeschleunigung.
Torsionsschwingungen haben zwar typischerweise eine viel geringere Amplitude als Querschwingungen und sind oft schwer zu erkennen, können jedoch enorme Wechselspannungen in Wellen, Kupplungen und Zahnrädern erzeugen, was möglicherweise ohne Vorwarnung zu katastrophalen Ermüdungsbrüchen führen kann.
Physikalischer Mechanismus
Wie Torsionsschwingungen entstehen
Torsionsschwingungen lassen sich wie folgt visualisieren:
- Stellen Sie sich eine lange Welle vor, die einen Motor mit einer angetriebenen Last verbindet
- Die Welle wirkt wie eine Torsionsfeder, die beim Drehen Energie speichert und freigibt
- Bei Störungen durch unterschiedliche Drehmomente schwingt die Welle, wobei sich Abschnitte schneller und langsamer als die Durchschnittsgeschwindigkeit drehen
- Diese Schwingungen können sich aufbauen, wenn die Anregungsfrequenz mit der Torsionseigenfrequenz übereinstimmt
Torsionseigenfrequenzen
Jedes Wellensystem weist Torsionseigenfrequenzen auf, die bestimmt werden durch:
- Torsionssteifigkeit der Welle: Hängt von Wellendurchmesser, Länge und Materialschubmodul ab
- Systemträgheit: Trägheitsmomente verbundener rotierender Komponenten (Motorrotor, Kupplungen, Getriebe, Lasten)
- Mehrere Modi: Komplexe Systeme haben mehrere Torsionseigenfrequenzen
- Kopplungseffekte: Flexible Kupplungen erhöhen die Torsionselastizität und senken die Eigenfrequenzen
Hauptursachen für Torsionsschwingungen
1. Variables Drehmoment von Hubkolbenmotoren
Die häufigste Quelle in vielen Anwendungen:
- Diesel- und Benzinmotoren: Verbrennungsvorgänge erzeugen pulsierendes Drehmoment
- Zündreihenfolge: Erzeugt Oberschwingungen der Motordrehzahl
- Zylinderanzahl: Weniger Zylinder erzeugen mehr Drehmomentvariation
- Resonanzrisiko: Die Motorbetriebsdrehzahl kann mit der kritischen Torsionsdrehzahl übereinstimmen
2. Zahneingriffskräfte
Getriebe erzeugen Torsionsanregungen:
- Die Zahnrad-Eingriffsfrequenz (Anzahl der Zähne × U/min) erzeugt ein oszillierendes Drehmoment
- Zahnabstandsfehler und Profilungenauigkeiten tragen dazu bei
- Zahnradspiel kann zu Stoßbelastungen führen
- Mehrere Getriebestufen erzeugen komplexe Torsions-Systeme
3. Probleme mit dem Elektromotor
Elektromotoren können Torsionsstörungen erzeugen:
- Poldurchgangshäufigkeit: Wechselwirkung zwischen Rotor und Stator erzeugt pulsierendes Drehmoment
- Gebrochene Rotorstäbe: Erzeugt Drehmomentimpulse bei Schlupffrequenz
- Frequenzumrichter (VFDs): PWM-Schaltung kann Torsionsmodi anregen
- Anlauftransienten: Große Drehmomentschwankungen beim Motoranlauf
4. Prozesslastschwankungen
Variable Belastung der angetriebenen Ausrüstung:
- Kompressorstoßereignisse
- Pumpenkavitation erzeugt Drehmomentspitzen
- Zyklische Belastungen in Brechern, Mühlen und Pressen
- Schaufeldurchgangskräfte in Ventilatoren und Turbinen
5. Kupplungs- und Antriebsstrangprobleme
- Verschlissene oder beschädigte Kupplungen mit Spiel oder Spiel
- Kreuzgelenke, die in Winkeln arbeiten und eine doppelte Torsionsanregung erzeugen
- Rutschen und Rattern des Riemenantriebs
- Kettenantrieb-Polygonaktion
Herausforderungen bei der Erkennung und Messung
Warum Torsionsschwingungen schwer zu erkennen sind
Im Gegensatz zu seitlichen Vibrationen stellen Torsionsschwingungen einzigartige Messherausforderungen dar:
- Keine radiale Verschiebung: Standard-Beschleunigungssensoren an Lagergehäusen erfassen keine reinen Torsionsbewegungen
- Kleine Winkelamplituden: Typische Amplituden sind Bruchteile eines Grades
- Erforderliche Spezialausrüstung: Erfordert Torsionsschwingungssensoren oder anspruchsvolle Analyse
- Oft übersehen: Nicht in routinemäßigen Schwingungsüberwachungsprogrammen enthalten
Messmethoden
1. Dehnungsmessstreifen
- Zur Messung der Scherspannung im 45°-Winkel zur Wellenachse montiert
- Erfordert ein Telemetriesystem zur Signalübertragung von der rotierenden Welle
- Direkte Messung der Torsionsspannung
- Genaueste Methode, aber komplex und teuer
2. Torsionsschwingungssensoren mit zwei Sonden
- Zwei optische oder magnetische Sensoren messen die Drehzahl an verschiedenen Wellenstellen
- Phasenunterschied zwischen Signalen weist auf Torsionsschwingungen hin
- Berührungslose Messung
- Kann vorübergehend oder dauerhaft installiert werden
3. Laser-Torsionsvibrometer
- Optische Messung von Wellenwinkelgeschwindigkeitsschwankungen
- Berührungslos, keine Wellenvorbereitung erforderlich
- Teuer, aber leistungsstark für die Fehlerbehebung
4. Indirekte Indikatoren
- Die Motorstromsignaturanalyse (MCSA) kann Torsionsprobleme aufdecken
- Verschleißmuster von Kupplungen und Zahnrädern
- Positionen und Ausrichtungen von Wellenermüdungsrissen
- Ungewöhnliche seitliche Schwingungsmuster, die möglicherweise mit Torsionsmodi gekoppelt sind
Folgen und Schadensmechanismen
Ermüdungsbrüche
Die Hauptgefahr von Torsionsschwingungen:
- Wellenausfälle: Ermüdungsrisse treten typischerweise im Winkel von 45° zur Wellenachse auf (Ebenen mit maximaler Scherspannung)
- Kupplungsfehler: Verschleiß der Zahnkupplungszähne, Ermüdung flexibler Elemente
- Zahnbruch: Beschleunigt durch Torsionsschwingungen
- Beschädigung von Schlüssel und Schlüsselweg: Reibkorrosion und Verschleiß durch oszillierendes Drehmoment
Merkmale von Torsionsbrüchen
- Oft plötzlich und katastrophal ohne Vorwarnung
- Bruchflächen im ca. 45°-Winkel zur Wellenachse
- Strandmarken auf der Bruchoberfläche weisen auf fortschreitende Ermüdung hin
- Kann auch dann auftreten, wenn die seitlichen Vibrationspegel akzeptabel sind
Leistungsprobleme
- Drehzahlregelungsprobleme bei Präzisionsantrieben
- Übermäßiger Verschleiß in Getrieben und Kupplungen
- Geräusche durch Getrieberasseln und Kupplungsschläge
- Ineffizienz der Kraftübertragung
Analyse und Modellierung
Torsionsanalyse während der Konstruktion
Für eine ordnungsgemäße Konstruktion ist eine Torsionsanalyse erforderlich:
- Berechnung der Eigenfrequenz: Ermittlung aller torsionskritischen Drehzahlen
- Forced-Response-Analyse: Vorhersage der Torsionsamplituden unter Betriebsbedingungen
- Campbell-Diagramm: Torsionseigenfrequenzen im Vergleich zur Betriebsdrehzahl anzeigen
- Spannungsanalyse: Berechnen Sie wechselnde Schubspannungen in kritischen Komponenten
- Vorhersage der Ermüdungslebensdauer: Schätzen Sie die Lebensdauer von Komponenten unter Torsionsbelastung
Software-Tools
Eine spezielle Software führt eine Torsionsanalyse durch:
- Multi-Trägheitsmodelle mit konzentrierter Masse
- Finite-Elemente-Torsionsanalyse
- Zeitbereichssimulation transienter Ereignisse
- Oberschwingungsanalyse im Frequenzbereich
Minderungs- und Kontrollmethoden
Designlösungen
- Trennränder: Stellen Sie sicher, dass die Torsionseigenfrequenzen ±20% von den Anregungsfrequenzen entfernt sind
- Dämpfung: Einbau von Torsionsdämpfern (Viskodämpfer, Reibungsdämpfer)
- Flexible Kupplungen: Fügen Sie Torsionsnachgiebigkeit hinzu, um die Eigenfrequenzen unterhalb des Anregungsbereichs zu senken
- Massenabstimmung: Schwungräder hinzufügen oder Trägheiten ändern, um Eigenfrequenzen zu verschieben
- Steifigkeitsänderungen: Wellendurchmesser oder Kupplungssteifigkeit ändern
Operative Lösungen
- Geschwindigkeitsbeschränkungen: Vermeiden Sie Dauerbetrieb bei torsionskritischen Drehzahlen
- Schnelle Beschleunigung: Schnelles Durchlaufen kritischer Geschwindigkeiten beim Start
- Lastmanagement: Vermeiden Sie Bedingungen, die Torsionsmodi anregen
- VFD-Tuning: Passen Sie die Antriebsparameter an, um die Torsionsanregung zu minimieren
Komponentenauswahl
- Hochdämpfende Kupplungen: Elastomer- oder Hydraulikkupplungen, die Torsionsenergie ableiten
- Torsionsdämpfer: Spezialgeräte für Kolbenmotorantriebe
- Getriebequalität: Präzisionsgetriebe mit engen Toleranzen reduzieren die Anregung
- Schaftmaterial: Hochdauerfeste Werkstoffe für torsionskritische Wellen
Branchenanwendungen und -standards
Kritische Anwendungen
Die Torsionsanalyse ist besonders wichtig für:
- Kolbenmotorantriebe: Dieselgeneratoren, Gasmotorkompressoren
- Lange Antriebswellen: Schiffsantriebe, Walzwerke
- Hochleistungsgetriebe: Windkraftanlagen, Industriegetriebe
- Antriebe mit variabler Drehzahl: VFD-Motoranwendungen, Servosysteme
- Mehrkörpersysteme: Komplexe Antriebsstränge mit mehreren verbundenen Maschinen
Relevante Normen
- API 684: Rotordynamik einschließlich Torsionsanalyseverfahren
- API 617: Torsionsanforderungen für Radialkompressoren
- API 672: Torsionsanalyse eines Kolbenkompressors
- ISO 22266: Torsionsschwingungen rotierender Maschinen
- VDI 2060: Torsionsschwingungen in Antriebssystemen
Beziehung zu anderen Schwingungsarten
Obwohl sie sich von lateralen und axialen Schwingungen unterscheiden, können Torsionsschwingungen mit diesen gekoppelt sein:
- Lateral-Torsionskupplung: In bestimmten Geometrien interagieren Torsions- und Lateralmodi
- Zahneingriff: Torsionsschwingungen erzeugen unterschiedliche Zahnbelastungen, die seitliche Schwingungen anregen können
- Kreuzgelenke: Winkelversatz koppelt Torsionseingang mit seitlichem Ausgang
- Diagnostische Herausforderung: Komplexe Schwingungssignaturen können von mehreren Schwingungsarten beeinflusst werden
Das Verständnis und die Kontrolle von Torsionsschwingungen sind für den zuverlässigen Betrieb von Antriebssystemen unerlässlich. Obwohl sie bei der Routineüberwachung weniger Beachtung finden als Querschwingungen, ist die Torsionsschwingungsanalyse bei der Konstruktion und Fehlerbehebung von Hochleistungs- oder Präzisionsantriebssystemen von entscheidender Bedeutung, da Torsionsfehler katastrophale Folgen haben können.